Walther von der Vogelweide: Leben und Werk.
Ich saz ûf eime steine,
und dahte bein mit beine;
dar ûf satzt ich den ellenbogen;
ich hete in mîne hant gesmogen
daz kinne und ein mîn wange.
dô dâhte ich mir vil ange,
wie man zer werlte solte leben:
Der Anfang des Spruchgedichts “Reichston” von Walther von der Vogelweide ist genauso berühmt wie das illustrierende Bild dazu.
Der “Reichston” besteht aus insgesamt drei Sprüchen und ist eine allgemeine Klage über die Rechtsunsicherheit der Zeit. Diese Unsicherheit könne laut Text nur durch ein starkes Königtum beseitigt werden.
Was Walther von der Vogelweide über das Leben um 1200 dachte, erfahren wir ausschließlich aus seinen zahlreichen Liedern und Sprüchen oder aus Werken anderer Dichter über ihn. Obwohl der mittelhochdeutsche Lyriker schon zu Lebzeiten berühmt ist, findet sich Walthers Name nur in einer zeitgenössischen urkundlichen Aufzeichnung.
Dafür ist die Werküberlieferung des Poeten und Minnesängers die umfangreichste des deutsche Mittelalters:
Er verfasste 500 Strophen in über 110 Melodien bzw. 90 Minnelieder, 150 Sangsprüche und einen religiösen Leich.
Unabhängig von seiner Literatur erlangt Walther durch seine ungewöhnlichen Ansichten eine historische Bedeutung.
Geboren wird der bedeutendste deutschsprachige Lyriker des Mittelalters um 1170 herum. Der Geburtsort ist bis heute unklar, der Name “von der Vogelweide” kein eindeutiger geographischer Hinweis.
So erheben mehrere Orte wie Frankfurt am Main, Feuchtwangen, Würzburg und Bozen den Anspruch, die Heimat des Sängers zu sein.
Walther von der Vogelweide könnte von adeliger Abstammung gewesen sein, da andere Sänger ihn mit dem Titel „Herr” bezeichneten. Wenn, dann zählte er aber nur zum niederen Adel. In Besitz und Position hat er sich aber nicht sehr von freien Bauern unterschieden.
Die Heimat vieler bekannter Minnesänger ist damals Tirol, und der Hof in Wien wird unter Friedrich I. Herzog von Österreich zu einem Zentrum der Dichtung und Kunst.
Hier lernt der junge Walther vom angesehenen Meister Reinmar dem Alten.
Im Herzog findet er seinen ersten Patron.
Nach dessen Tod 1197 wandert Walther von Hof zu Hof, singt nur für Unterkunft und Essen. Meist bekommt er für seine Dienste weder Geld noch Anerkennung.
Walther steht stets im Dienste seiner Herren, ist finanziell abhängig von ihnen. Deshalb ist er oft gezwungen, zusammen mit ihnen im Thronstreit die Seiten zu wechseln.
So ist er beispielsweise am Hof Philipps von Schwaben. In dieser Zeit entsteht der anfangs genannte „Reichston”. Die Sprüche sollen die Probleme der Zeit nach dem Tod des Kaisers Heinrich VI verdeutlichen.
Später wendet Walther sich Friedrich II. zu, der um 1212 der einzige Repräsentant des deutschen Kaiserreichs gegen Papst und Fürsten ist.
Friedrich II. zeigt sich 1220 für Walthers Einsatz für das Reich erkenntlich und gibt ihm ein kleines Lehen in Franken. Dies bietet Walther endlich das Heim und die feste Position, die er sich sein Leben lang gewünscht hat. Um 1224 zieht er aus Wien dorthin.
Der Dichter drängt die deutschen Prinzen dazu, am Kreuzzug von 1228 teilzunehmen und hat die Kreuzzugsarmee wahrscheinlich ein Stück begleitet.
Um 1230 stirbt Walther von der Vogelweide und wird vermutlich in Würzburg begraben. Laut einer Legende hat er verfügt, dass an seinem Grab täglich die Vögel gefüttert werden sollen.
Der mittelhochdeutsche Dichter hat alle drei Formen der Lyrik ausgeübt, die es im Mittelalter gab: Minnesang, Spruchdichtung und Leichdichtung.
Minnesang nennt man die schriftlich überlieferte, hoch ritualisierte Form der gesungenen Liebeslyrik, die der westeuropäische Ritteradel pflegte.
Minne heißt “liebevolles Gedenken” und bedeutet im Konzept der hohen Minne die Verehrung einer höhergestellten Dame. Hier wird unerfüllte Liebe reflektiert, die Angebetete gepriesen oder erotische Erlebnisse geschildert. Minnesang ist hochadelige Repräsentationskunst.
Ein Minnelied ist ein fest abgeschlossenes Ganzes mit zwei bis sieben Strophen.
In seiner Jugend imitiert Walther andere Minnesänger und schreibt und singt überwiegend Lieder der “Hohen Minne” im Stil seines Lehrers Reinmar von Hagenau.
Ein Streit um die “Minnekonzeption” entsteht, als Walther entgegen Reinmars Konzept auch Lieder im Ideal der “ebenen Minne” schreibt, die eine nicht standesbezogene, wechselseitige Liebe als Ideal ansieht.
Seine populärsten Lieder gehören zur niederen Minne. Sie thematisieren die erfüllte Liebe zu einem Mädchen von niederem Stand. Sie werden auch „Mädchenlieder“ genannt.
Walther selbst hat in verschiedenen Liedern das Wesen von “hoher”und “niederer” Minne erkundet und schließlich das Konzept der „ebenen“ Minne entwickelt.
Walther von der Vogelweide war aber auch politischer Spruchdichter.
Die Spruchdichtung beziehungsweise Sangspruchdichtung ist eine Gebrauchskunst und wird von Berufsdichtern und -sängern ausgeübt. Sie befasst sich mit politischen, moralischen und religiösen Themen.
Sie fordert dementsprechend zum ethisch richtigem Handeln auf, propagiert gängige Lebensweisheiten oder kritisiert das Zeitgeschehen.
Walthers Hauptthema ist die Reichspolitik.
Im Konflikt zwischen Reich und Papsttum ergreift Walther nachdrücklich Partei für die deutsche Unabhängigkeit und Einheit. Trotz seines religiösen Glaubens bleibt er bis zu seinem Tod ein erbitterter Gegner der Forderungen der Päpste.
Ein anderes mehrfach wiederkehrendes Thema ist die Schelte geiziger Gönner.
Die Spruchdichtung verwendet oft komplexere und umfangreichere Strophenformen für andere Inhalte wieder. Gewollt ist eine eindeutige Zuordnung zum Dichter-Komponisten.
So gibt es Walthers “Philipps-Ton” beziehungsweise “Reichs-Ton”.
Wie viele mittelalterliche Lyriker hat auch Walther einen einzigen Leich geschrieben, um zu zeigen, dass er es kann.
Ein Leich ist ein Loblied an die heilige Dreifaltigkeit, Christus oder Maria und stellt die Groß- und Prunkgattung der mittelhochdeutschen Lyrik dar.
Walthers Leich ist Loblied klagt aber auch das Christentum an.
Die bei weitem umfangreichste Sammlung von Walthers Gedichten befindet sich in der „Großen Heidelberger Liederhandschrift“, einer Prachthandschrift vom Beginn des 14. Jahrhunderts.
Strophen Walthers enthalten auch die “Kleine Heidelberger Liederhandschrift” sowie die “Weingartner Liederhandschrift”, und die “Carmina Burana”.
Walther von der Vogelweide ist einer der wenigen Dichter, der Minnesang UND Spruchdichtung praktiziert und jeweils Hervorragendes geleistet hat.
Jahrzehnte später reimt der Schriftsteller Hugo von Trimberg die schönen bekannten Zeilen:
„Herr Walther von der Vogelweide, wer den vergäße, der täte mir leide“.