Bonjour, ich bin’s, Tim.
Von wem stammt der Ausspruch: “Und erst, wenn ihr mich Alle verleugnet habt, will ich euch wiederkehren.”? (IV, 101)
Richtig, er stammt aus dem Mund Zarathustras, dem literarischen Propheten Friedrich Nietzsches. Oder hast du geglaubt, es war Jesus, der das sagte? Auch damit hättest du nicht ganz falsch gelegen, denn Zarathustra spielt auf die Worte Jesus’ an, der sagte: “...ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.” (Matthäus 26.34)
Dieses Beispiel ist eine Verdeutlichung dafür, worum es uns in diesem Video geht: um die Anspielung.
Wie definieren wir die Anspielung? Sie ist ein Stilmittel, das sehr häufig in der Literatur, aber auch im Alltagsleben vorkommt. Man nennt sie auch die Allusion, denn das lateinische Wort “alludere” bedeutet “anspielen”.
Wenn ich auf etwas anspiele, nehme ich indirekt Bezug auf eine Person, ein Ereignis oder auf Literatur. Indirekt deswegen, weil ich den Ursprung des Zitats nicht explizit mache, d.h. offenlege. Als Autor oder Sprecher gehe ich aber davon aus, dass in der Regel die Zusammenhänge bekannt sind. Ich gehe also davon aus, dass du die Anspielung entdeckst und weißt, was sie bedeutet.
Da die Allusion aber häufig halb versteckt ist, entdecken sie nur Kundige. Wenn du die Bibel nicht kennst, lässt dir Nietzsche z.B. keine Chance, ohne Hilfe sein Buch zu verstehen.
Dabei gibt es verschiedene Arten, wie wir eine Anspielung machen können. Die wichtigsten davon sind einzelne Worte, ganze oder abgewandelte Sätze. Eine Allusion kann aber auch in einer Nachahmung des Stils bestehen.
Ein Beispiel für eine Anspielung als einzelnes Wort: Wenn ich sage: “Deutsch ist meine Achillesferse”, dann weiß jeder, der die Geschichte um Achilles kennt, wie ich das meine: Achilles’ Ferse war seine einzige verwundbare Stelle. Mit einem Wort rufe ich also ein Bild hervor, das durch einen Vergleich meine Situation näher beschreibt.
Wenn ich den Satz sage: “Die Koalition schlägt zurück”, wird jedem Star-Wars-Fan sofort der Titel der 5. Episode einfallen: “Das Imperium schlägt zurück”.
Liest du den vorigen abgewandelten Satz dann in einer Zeitung, kannst du sicher sein, dass er ironisch gemeint ist; denn das Imperium ist, wie jeder weiß, das Böse in Reinform. Sie überträgt sich durch die Anspielung auf die Koalition - wahrscheinlich also auf die Regierungskoalition.
Auch im Stil können wir Anspielungen machen. In seinem “Zarathustra” imitiert Nietzsche z.B. stark den Stil der Bibelübersetzung Luthers.
Was bewirkt eine Anspielung aber nun? Der erste Effekt ist klar: Die Anspielung ruft ein Bild beim Zuhörer oder Leser hervor. Dieser verknüpft seine Kenntnisse mit der Situation des Sprechers im Text, der dadurch mehr Bedeutungstiefe gewinnt.
Die Anspielung kann aber auch Bestürzung bewirken, z.B. wenn ich sage: “Er erlebt gerade sein eigenes Waterloo.” Waterloo war die Schlacht, in der Napoleon schwer geschlagen wurde. Ich will damit also auf eine schwere Niederlage einer Person anspielen.
Andererseits kann eine Anspielung aber auch zu Erheiterung führen, wie wir in unserer vorherigen Star-Wars-Anspielung gesehen haben.
Insgesamt verlangen Anspielungen ein erhöhtes Mitdenken vom Leser. Denn die Bezüge können aus vielen Bereichen kommen: Wie wir gesehen haben, stammen sie in der westeuropäischen Literatur häufig aus der griechischen Mythologie, aus der Bibel, aus geschichtlichen Ereignissen und Personen oder aus Literatur und Kunst allgemein.
In der Literaturwissenschaft ist die Anspielung ein sehr wichtiges Stilmittel. Denn durch sie setzt sich der Autor häufig mit seinen literarischen Vorgängern auseinander. Wenn ein Autor also viele Andeutungen auf andere Bücher einbaut, ist sein Buch intertextuell, denn es findet ein Austausch zwischen Texten statt. Das nennen wir in der Literaturwissenschaft “Intertextualität”. Und je mehr Andeutungen er einbaut, je intertextueller er also ist, desto interessanter wird er für die Literaturwissenschaft - und umso schwerer verständlich für uns Normalsterbliche.
Fassen wir alles nochmal kurz und knapp zusammen:
Die Anspielung ist ein Stilmittel, das auch Allusion genannt wird.
Wir nehmen mit ihr indirekt auf eine Person, ein Ereignis oder auf Kunstwerke Bezug, indem wir ein Wort, einen Satz oder einen bestimmten Stil nachahmen.
Wenn ich die Anspielung als Autor verwende, gehe ich davon aus, dass du als Leser sie entdeckst.
In der westeuropäischen Literatur stammen Anspielungen meist aus der griechischen Mythologie, der Bibel, der Geschichte oder aus der Kunst.
Sie erzeugt ein starkes Bild im Leser und schafft damit mehr Bedeutungstiefe. Sie kann auch Bestürzung oder Erheiterung hervorrufen.
In der Literaturwissenschaft nennen wir die Anspielungen auf andere Literatur in einem Buch “Intertextualität”.
In diesem Sinne: Ich kam, sah und sagte: Ciao!