Grundlagen der Flottengesetze
Dass es zu der Verabschiedung der Flottengesetze kam, die dem Ausbau der deutschen Hochseeflotte dienen sollte, hatte verschiedene Gründe. Diese waren zum einen innen- und zum anderen außenpolitisch. In den 1890er-Jahren war der Alltag im deutschen Kaiserreich von Spannungen im Inneren geprägt, da das aufstrebende industrielle Bürgertum und die Arbeiterinnen und Arbeiter mehr politische Mitsprache forderten. Zudem litten die ostelbischen Großgrundbesitzerinnen und Großgrundbesitzer unter billigen Lebensmittelimporten und strebten daher nach Schutzzöllen. Das lehnte jedoch das Bürgertum ab, da es den Freihandel befürwortete. Auch die außenpolitische Lage war nicht besonders stabil, da die kleine deutsche Flotte im Schatten der mächtigen britischen Marine, der Royal Navy, stand und im Kriegsfall hoffnungslos unterlegen gewesen wäre.
Ziele der Flottengesetze
All diese Probleme versuchte Kaiser Wilhelm II. und seine Flottenpolitik mit einem umfassenden Flottenbauprogramm zu lösen. Zum einen sollten die innenpolitischen Unruhen beseitigt werden. Die Großgrundbesitzerinnen und Großgrundbesitzer erhielten Schutzzölle für ihre Produkte, insofern sie den Flottengesetzen zustimmten. Auch das Bürgertum profitierte vom Flottenbau, der ihnen deutliche Umsatzsteigerungen einbrachte. Und zu guter Letzt sollten auch die Arbeiterinnen und Arbeiter durch die Aussicht auf Vollbeschäftigung bei der Flottenaufrüstung und höhere Löhne beruhigt werden. Wilhelm II. propagierte den Ausbau der deutschen Flotte als ein nationales Gemeinschaftswerk, das das Reich wieder enger zusammenschweißen sollte. Seine Werbung wurde durch Verbände wie den Deutschen Flottenverein unterstützt, die auf wirtschaftliche Vorteile hofften.
Zudem war das außenpolitische Ziel der Flottenrüstung, das deutsche Kaiserreich zur Weltmacht zu erheben und seine koloniale Macht auszubauen. Grundlegend war hierfür der sogenannte Risikogedanke, den Alfred von Tirpitz, Staatssekretär des Reichsmarineamts (RMA), verfolgte: Die deutsche Flotte sollte so groß werden, dass sie dazu fähig war, die britische Marine zu schlagen, und deshalb ein Risiko für sie darstellte. Dies sollte die Briten dazu bringen, ein Seebündnis mit den Deutschen einzugehen.
Erstes Flottengesetz 1898
Das erste Flottengesetz wurde am 10. April 1898 vom Reichstag verabschiedet und bestimmte die Größe der neuen deutschen Flotte. Man einigte sich auf zwei Geschwader (so nennt man militärische Verbände in der Marine), die neben etwa 40 kleineren Schiffen je acht Linienschiffe, ein Flottenflaggschiff und acht Küstenpanzerschiffe enthielten.

Zweites Flottengesetz 1900
Das zweite Flottengesetz wurde am 12. Juni 1900 im Reichstag bewilligt und verstärkte das Flottengesetz von 1898 noch einmal deutlich, da es die Verdopplung der deutschen Schlachtflotte beschloss. Es gab nun vier Geschwader und etwa 80 Schiffe. Dem Instandhalten der Flotte wurden rund 300 Millionen Mark pro Jahr zugesprochen.
Diese gewaltige Aufrüstung der deutschen Marine infolge des zweiten Flottengesetzes blieb den Briten nicht unbemerkt, doch sie reagierten ganz anders, als die Deutschen und allen voran Wilhelm II. gehofft hatte. Denn sie dachten nicht an ein Bündnis mit dem Kaiserreich, im Gegenteil – sie sahen die neue deutsche Flotte als Gefährdung ihrer eigenen Vormachtstellung auf See an, was den Graben zwischen beiden Ländern weiter vergrößerte.
Folgen der Flottengesetze
Das Flottenbauprogramm erzielte also nicht die gewünschten Effekte. Es beruhigte weder die außen- noch die innenpolitische Lage, sondern verschlimmerte beides nur noch mehr. Mit dem Inkrafttreten der Flottengesetze, besonders des zweiten, begann das deutsch-britische Marine-Wettrüsten, das als einer der Auslöser des Ersten Weltkriegs gilt. Um seine Vormachtstellung zu behalten, rüstete Großbritannien die Royal Navy weiter auf, was das Deutsche Reich mit der Novellierung der Flottengesetze beantwortete. Hierbei handelte es sich um drei Änderungsgesetze, die neben neuen Schiffstypen die Erhöhung der finanziellen Mittel und die weitere Vergrößerung der Flotte beinhalteten.
Somit verstärkte die unnachgiebige deutsche Flottenaufrüstung die Isolation, in der sich das Reich ohnehin schon befand. Denn während ihm ein Bündnis mit Großbritannien verwehrt blieb, schloss die britische Regierung 1904 mit Frankreich die Entente-Cordiale, der 1907 zudem noch Russland beitrat. Dabei handelte es sich um ein Bündnis zur Lösung des Interessenkonflikts wegen der Kolonien in Afrika. Es beinhaltete jedoch auch die Mobilmachung der eigenen Flotten gegen Deutschland im Fall eines möglichen Kriegs. Die Flottengesetze und die internationale Entwicklung zuungunsten des Deutschen Reichs gingen also Hand in Hand.
Doch auch die innenpolitischen Konflikte verstärkten sich durch die Flottengesetze, da die Bevölkerung unter den finanziellen Belastungen, die der Ausbau der Schlachtflotte mit sich brachte, zu leiden hatte. Dies vergrößerte ihre Unzufriedenheit und beendete die anfängliche nationale Begeisterung. Tirpitz blieb also nichts anderes übrig, als das Scheitern der Flottenrüstung zu akzeptieren.
Nachdem du nun ein umfangreiches Hintergrundwissen zu den Flottengesetzen erworben hast, findest du in der Tabelle noch einmal eine Übersicht, die dir die Flottengesetze ganz einfach erklärt.
Name |
Flottengesetze |
Kurzbeschreibung |
Gesetze des Deutschen Reichs zur Aufrüstung der deutschen Schlachtflotte |
innenpolitische Ziele |
Beenden der Konflikte durch gemeinsames nationales Projekt und Verbesserung der finanziellen und sozialen Lage |
außenpolitische Ziele |
Erhebung des Reichs zur Weltmacht und Schließen eines Seebündnisses mit Großbritannien |
Verabschiedung des ersten Flottengesetzes |
10. April 1898 |
Inhalt des ersten Flottengesetzes |
Festlegung des Umfangs der deutschen Flotte |
Verabschiedung des zweiten Flottengesetzes |
12. Juni 1900 |
Inhalt des zweiten Flottengesetzes |
Verdopplung der deutschen Flotte |
Folgen |
deutsch-britisches Marine-Wettrüsten, Isolation des Deutschen Reichs, Entente-Cordiale zwischen Großbritannien, Frankreich und Russland |