Novelle – Definition
Die literarische Gattung Novelle ist ihrer Definition zufolge eine kurze bis mittellange Erzählung. Es handelt sich um einen Fließtext, also um eine Prosaform.
Die erste Novellensammlung schrieb Giovanni Boccaccio in der Zeit der Renaissance ungefähr im Jahr 1349. Die Novellensammlung heißt Decamerone, was „Zehntagewerk“ bedeutet. Danach wurden Novellenzyklen in ganz Europa populär, bis sie von einzelnen Novellen abgelöst wurden.
Wusstest du schon?
Laut Begriffserklärung stammt das Wort Novelle vom italienischen Wort novella ab, was so viel wie „Neuigkeit“ oder „kleine Erzählung“ bedeutet. Ursprünglich waren Novellen kurze Geschichten, die von erstaunlichen oder unerwarteten Ereignissen berichteten.
Novelle – Merkmale
Was sind die typischen Merkmale einer Novelle? Die folgende Übersicht zeigt die wichtigsten Merkmale einer Novelle:
- Die erste Besonderheit, die eine Novelle aufweist, liegt in der Konfrontation eines Menschen mit einem schicksalhaften Ereignis.
- Dadurch entsteht ein zentraler Konflikt, der meist aus dem Zusammenstoß zwischen Realem und Außergewöhnlichem besteht.
- Die sich ereignende außergewöhnliche oder unerhörte Begebenheit wird zum Mittelpunkt der Novelle. Sie ist das entscheidende Ereignis. Dabei kann es sich zum Beispiel um die Hochstapelei des Schneidergesellen Wenzel Strapinski in Kleider machen Leute (1874) von Gottfried Keller oder um den Mord am Juden Aaron in Die Judenbuche (1842) von Annette von Droste-Hülshoff handeln.
- Oft hat die Novelle eine Rahmenhandlung, in die eine Binnenhandlung eingebettet ist.
- Außerdem ist die Novelle durch einen geradlinigen Handlungsverlauf ausgezeichnet, der sich zielgerichtet zunächst auf den Höhepunkt und dann auf das Ende zubewegt.
- Die Novelle weist außerdem durch das Leitmotiv und Dingsymbol eine geschlossene Form auf und hat keine Parallelhandlung.
- Sie wird zu einem großen Teil stark gerafft erzählt.
- Es gibt nur wenige Figuren, die knapp gezeichnet werden.
Kennst du das?
Vielleicht hast du schon einmal das Gefühl gehabt, dass bestimmte Geschichten spannend und fesselnd sind, obwohl sie nicht besonders lang sind. So ist es auch mit Novellen. Sie sind kürzer als Romane, aber genauso packend.
Eine Novelle konzentriert sich auf ein zentrales Ereignis oder eine außergewöhnliche Begebenheit, die oft das Leben der Figuren entscheidend verändert. Wenn du das nächste Mal eine spannende, kurze Geschichte liest, könnte es gut sein, dass sie eine Novelle ist.
Novelle – Handlung
In der Novelle dreht sich alles um ein schicksalhaftes Ereignis. Daher gibt es meistens nur einen Handlungsstrang und keine Parallel- oder Nebenhandlungen, wie sie beispielsweise für einen Roman typisch sind.
Zudem ist das Erzählte zwar außergewöhnlich und besonders, aber dennoch immer auch realistisch, sodass der Eindruck entsteht, die Handlung könne tatsächlich so passiert sein. Damit unterscheidet sich die Novelle eindeutig von einem Märchen, da hier sogleich deutlich wird, dass es sich um frei erfundene Figuren, Orte und Ereignisse handelt.
Die Themen von Novellen können von lustigen und heiteren bis hin zu ernsten und traurigen Begebenheiten variieren. Auch wenn es am Ende keine Moral, wie zum Beispiel in Fabeln, gibt, regt die Geschichte einer Novelle häufig zum Nachdenken an.
Kontrovers diskutiert:
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler streiten darüber, ob die Novelle eine eigenständige literarische Form ist oder ob sie eher als Unterkategorie des Romans betrachtet werden sollte. Einige Forscherinnen und Forscher verweisen auf die klare Abgrenzung durch spezifische Merkmale wie die Dingsymbolik. Andere meinen, dass die Unterschiede zum Roman oft fließend sind und eine strikte Trennung nicht sinnvoll ist. Was denkst du?
Novelle – Charaktere
Aufgrund des kurzen Umfangs kommen in einer Novelle nur begrenzt Charaktere vor, die teilweise sogar namenlos bleiben und nicht weiter ausgeführt werden.
Fehleralarm
Es ist falsch zu denken, dass Novellen immer nur eine Hauptfigur haben. Obwohl sie meist viel weniger Charaktere als ein Roman haben, können Novellen mehrere wichtige Figuren enthalten.
Alle Charaktere einer Novelle sind allerdings in irgendeiner Form für den zentralen Konflikt bzw. das Kernthema der Handlung von Bedeutung. Anders als in einem Drama gibt es somit so gut wie keine Nebenfiguren. Daher bietet es sich gerade für eine Novelle an, die dargestellten Charaktere genau zu beobachten und ihr Verhalten bzw. das Gesagte im Hinblick auf das zentrale Thema zu analysieren. Mehr zur Figurencharakterisierung in epischen Texten erfährst du auf einer separaten Themenseite.
Novelle – Erzähltechnik
Eine Besonderheit der Novelle ist die Einteilung in Rahmen- und Binnenerzählung. Ihrem Namen gemäß bildet die sogenannte Rahmenhandlung den Rahmen für die Binnenhandlung, die in die Rahmenerzählung eingebettet wird.
Merke
Die Rahmenhandlung ist eine Erzählstruktur, bei der eine Binnenerzählung von einer äußeren Erzählebene umgeben ist. Die äußere Ebene dient oft dazu, die Rahmenbedingungen der Hauptgeschichte festzulegen oder einen Kontext für die erzählte Handlung zu schaffen.
Betrachten wir als Beispiel die Erzählung Die Verwandlung von Franz Kafka:
- Die Rahmenhandlung besteht aus der Einleitung und dem Abschluss der Novelle.
- In der Einleitung wird Gregor Samsa als Hauptcharakter vorgestellt, der sich eines Morgens in einen riesigen Käfer verwandelt.
- Die Binnenhandlung konzentriert sich auf die unmittelbaren Ereignisse, die nach Gregors Verwandlung folgen. Wir erleben seine Versuche, sich an sein neues Dasein anzupassen, sowie die Reaktionen seiner Familie und anderer Personen auf seine Verwandlung. Diese Binnenhandlung zeigt Gregors Isolation, seine Versuche, mit seiner neuen Realität umzugehen, und die schrittweise Entfremdung von seiner Familie.
- Der abschließende Teil der Rahmenhandlung reflektiert die Veränderungen, die Gregors Verwandlung in einen Käfer auf seine Familie und sein Umfeld hat.
Novelle – Motive
Die geschlossene Form wird bei der Novelle durch die Verwendung von Leitmotiven und Dingsymbolen erreicht.
Das Leitmotiv
Dieses zieht sich durch die gesamte Handlung und verdeutlicht, was die Autorin oder der Autor mithilfe der Erzählung sagen will.
Das Dingsymbol
Zu einem Dingsymbol werden in der Literatur Gegenstände oder Lebewesen, die den Sinnzusammenhang des Werks verdeutlichen. Ein solches Dingsymbol enthält beispielsweise Boccaccios Werk Decamerone. Darin geht es um einen Ritter, der eine adlige Dame liebt. Um sie zu beschenken, hat er bereits sein ganzes Vermögen verschwendet. Nun setzt er ihr einen Falken, der sein letzter Besitz war, zur Speise vor. Dadurch ist die Dame so gerührt, dass sie in eine Heirat einwilligt. Sie macht den verarmten Ritter also zum Herren ihres gesamten Vermögens. Der Falke wird zum Symbol der gesamten Handlung. Daher stammt der Begriff Falkentheorie, nach der jede Novelle einen Konflikt haben muss, der durch ein Dingsymbol veranschaulicht werden kann.
Wusstest du schon?
Leitmotive und Dingsymbole dienen beide dazu, bestimmte Elemente in einem literarischen Werk zu betonen oder zu verstärken. Während das Leitmotiv eher abstrakte Konzepte, Charaktere oder Handlungen betont, fokussiert sich das Dingsymbol auf konkrete Objekte, Tiere oder Pflanzen, die durch wiederkehrende Motive repräsentiert werden.
Novelle – Aufbau
Wie ist die Novelle aufgebaut? Ähnlich wie das Drama verfügt die Novelle über eine geraffte Exposition, gefolgt von der Steigerung der Handlung, einem konzentriert herausgearbeiteten Höhe- und Wendepunkt und dem Abfall und dem Abklingen der Handlung.
- In der Einleitung oder auch Exposition werden die Charaktere und Hintergründe der Handlung, wie Zeit und Ort, vorgestellt.
- Die Handlung steigert sich anschließend bis zu einem zentralen Konflikt, der im Hauptteil der Novelle ausgearbeitet wird.
- Innerhalb des Schlussteils der Novelle kommt es zu einem Wendepunkt der Geschichte, der oftmals unerwartet oder überraschend eintritt. Danach fällt die Handlung bis zum Ende der Erzählung wieder ab.
Schlaue Idee
Wenn du eine spannende Geschichte schreiben möchtest, versuche den Aufbau einer Novelle zu verwenden. Sie zeichnet sich durch eine klare Struktur und einen Wendepunkt aus, der Spannung schafft.
Die bekanntesten Autorinnen und Autoren von Novellen
In Deutschland war Johann Wolfgang von Goethe der erste Autor eines bedeutenden Novellenzyklus. Er heißt Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten und stammt aus dem Jahr 1795.
Andere Beispiele bekannter Novellen sind:
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Die Judenbuche (1842) von Annette von Droste-Hülshoff
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Kleider machen Leute (1874) von Gottfried Keller
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Bahnwärter Thiel (1888) von Gerhart Hauptmann
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Die Schachnovelle (1942) von Stefan Zweig
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Ein fliehendes Pferd (1978) von Martin Walser
Auch E. T. A. Hoffman (1776–1822), Heinrich von Kleist (1777–1811), Theodor Fontane (1819–1898), Theodor Storm (1817–1888), Thomas Mann (1875–1955) und Günter Grass (1927–2015) sind wichtige Vertreter deutschsprachiger Novellen.
Novelle – Beispiel
Die Novelle Der Schimmelreiter (1888) von Theodor Storm weist viele typische Merkmale auf:
Merkmale von Novellen |
Beispiel aus Der Schimmelreiter |
Kürze und Konzentration auf eine Handlung |
Die Erzählung ist vergleichsweise kurz und dreht sich hauptsächlich um den Aufstieg und Fall des Deichgrafen Hauke Haien. |
wenige Figuren |
Es gibt nur wenige Hauptfiguren, die im Mittelpunkt der Handlung stehen: Hauke Haien, seine Frau Elke, der alte Deichgraf und der Nachbar Detlef Pentenrieder. |
schicksalhaftes Ereignis |
Das Schicksal von Hauke und dem Dorf wird besiegelt, als der Deich bricht und das Dorf überflutet wird. |
zentraler Konflikt |
Der Hauptkonflikt dreht sich um Haukes Streben nach Anerkennung und Macht sowie die Ablehnung durch die Dorfgemeinschaft. |
unerhörte Begebenheit |
Die unerhörte Begegnung zwischen Hauke und dem geisterhaften Schimmelreiter wird als mysteriöses Ereignis dargestellt. |
Rahmen- und Binnenhandlung |
In dieser Novelle gibt es zwei Rahmenhandlungen und eine Binnenhandlung. Der äußere Rahmen wird durch einen namenlosen Ich-Erzähler gestaltet, der sich an einen Zeitungsartikel von vor über 50 Jahren zurückerinnert. Die weitere Rahmenhandlung enthält die Erzählung eines Reisenden über die Begegnung mit einem unbekannten Reiter, während die Binnenhandlung die eigentliche Geschichte von Haukes Aufstieg und Fall erzählt. |
Leitmotiv und Dingsymbol |
Ein Leitmotiv könnte die wiederkehrende Erwähnung des Deichs sein, der die Bedeutung des Deichgrafenamts für Hauke und das Dorf unterstreicht. Als Dingsymbol wird oftmals der Schimmel genannt, der symbolisch für Haukes Ambitionen und seine Verbindung zur Natur steht. Allerdings werden mit diesem Dingsymbol häufig auch der Teufel und das Unheil assoziiert. |
Weitere Infos zum Werk der Schimmelreiter von Theodor Storm findest du auf folgenden Themenseiten:
Ausblick – das lernst du nach Novelle – Überblick
Vertiefe dein Verständnis mit den Merkmalen der Novelle. Entdecke, wie man Novellen interpretiert und was man in einer Analyse beachten sollte. Lass dich von berühmten Novellen der Weltliteratur, wie zum Beispiel der Traumnovelle, inspirieren. Sei gespannt auf spannende Erzählungen und tieferes Textverständnis!
Novelle – Zusammenfassung
- Die Novelle ist eine kurze Erzählung, die von einer unerhörten Begebenheit handelt und sich durch eine spezielle Erzähltechnik auszeichnet.
- Zu den typischen Merkmalen von Novellen zählen außerdem die Darstellung eines zentralen Konflikts, die Aufteilung in Rahmen- und Binnenhandlung, die Verwendung von Leitmotiven und Dingsymbolen sowie eine stark geraffte Handlung, die durch wenige Charaktere gekennzeichnet ist.
- Die Form der Novelle ist zumeist geschlossen und folgt einem klaren Aufbau aus Einleitung, Hauptteil, Wendepunkt und Schluss. Damit weist die Novelle in ihrer Struktur Ähnlichkeiten zum Drama auf.
- Bekannte Autorinnen und Autoren, die Novellen geschrieben haben, sind Annette von Droste-Hülshoff, Gottfried Keller, Gerhart Hauptmann, E. T. A. Hoffman oder Theodor Storm.
Häufig gestellte Fragen zum Thema Novelle
Was ist eine Novelle?
Die Novelle ist eine literarische Textform der Gattung Epik, die sich durch ihre Kürze und Konzentration auf einen einzigen Konflikt auszeichnet. Weitere Merkmale der Novelle sind die unerhörte Begebenheit, die Aufteilung in Rahmen- und Binnenhandlung sowie die Verwendung von Leitmotiven und Dingsymbolen.
Was ist typisch für eine Novelle?
Als typische Merkmale von Novellen gelten:
- die Rahmen- und Binnenhandlung,
- die Kürze und Einfachheit,
- die Schilderung eines besonderen Ereignisses,
- ein geradliniger Handlungsverlauf mit klarem Höhe- und Wendepunkt,
- wenige Charaktere,
- ein klarer Konflikt um eine unerhörte Begebenheit sowie
- Leitmotive und Dingsymbole.
Wie unterscheidet sich eine Novelle von einem Roman?
Eine Novelle ist im Vergleich zu einem Roman kürzer und konzentriert sich auf eine einfachere Handlung und einen zentralen Konflikt. Die Charakterentwicklung und -vielfalt sind in der Regel weniger ausgeprägt als im Roman.
Was sind Beispiele für Novellen?
Hier siehst du ein paar Beispiele für Novellen:
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Die Judenbuche (1842) von Annette von Droste-Hülshoff
-
Kleider machen Leute (1874) von Gottfried Keller
-
Bahnwärter Thiel (1888) von Gerhart Hauptmann
-
Die Schachnovelle (1942) von Stefan Zweig
-
Ein fliehendes Pferd (1978) von Martin Walser
-
Der Schimmelreiter (1888) von Theodor Storm
Was ist das Dingsymbol in einer Novelle?
Als Dingsymbol (auch Falkenmotiv) werden in der Novelle leblose Gegenstände, Tiere oder Pflanzen bezeichnet, die als Symbol eine zentrale Rolle in der Erzählung spielen.