Kurz erklärt war die Ölkrise 1973 eine der ersten großen Energiekrisen der Nachkriegszeit. Sie traf Deutschland besonders hart und führte zu Fahrverboten und autofreien Sonntagen. Wie kam es dazu? Erfahre mehr im Text!
Als im Februar 2022 Russland die Ukraine angriff, war das nicht nur der Beginn eines langen und verlustreichen Konflikts an der Grenze zu Europa. Es war auch der Beginn einer Energiekrise. Denn als Reaktion auf die westliche Unterstützung der Ukraine stoppte Russland seine Lieferungen von Erdöl und Erdgas, die lange Zeit einen großen Teil der Energieversorgung Deutschlands ausgemacht hatten. Schlagartig wurde offensichtlich, wie groß die Abhängigkeit von Russland geworden war. Es wurde diskutiert, ob die Erdgasvorräte für den Winter ausreichen würden, wie man beim Heizen sparen könnte, und welche Alternativen zur Verfügung standen – vom schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien bis hin zum Bezug von Gas aus anderen Quellen.
Interessanterweise war es nicht das erste Mal, dass Deutschland sich einer derartigen Krise gegenüber sah. Bereits 1973 war mit der Ölkrise zum ersten Mal deutlich geworden, wie wichtig eine durchdachte Energiepolitik auch im nationalen Sicherheitsinteresse war. Damals ging es um Erdöl, nicht um Erdgas, und der Konfliktpartner war nicht Russland, sondern die arabischen Staaten, die sich in der OPEC, der Organisation erdölexportierender Länder zusammengetan hatten. Damals wie heute war der Anlass für die Krise ein kriegerischer Konflikt.
Die Hintergründe der Ölkrise
Die Ölkrise von 1973 hatte ihren Ursprung nicht zuletzt im Machtgefälle zwischen den reichen Industrienationen des Westens und den erdölproduzierenden Staaten des Nahen Ostens. Letztere entdeckten zunehmend die Möglichkeit, ihre natürlichen Ölvorkommen als Druckmittel zu nutzen, um sich international Gehör zu verschaffen.
Rohöl als Energiequelle
Zu Beginn der 1970er Jahre war Rohöl die wichtigste Energiequelle für die westlichen Industrienationen. Es wurde in erster Linie für die Herstellung von Heizöl und Benzin genutzt, aber zum Beispiel auch für die chemische Industrie. Die Bundesrepublik deckte mehr als die Hälfte ihres Energiebedarfs mit Rohöl. Ölvorkommen gab es in vielen Staaten weltweit, darunter die USA, Kanada, aber auch Venezuela und die Länder des Nahen Ostens. Als Interessenvertretung gegen die übermächtigen amerikanischen Ölkonzerne hatten einige dieser Länder die OPEC gegründet.
Die OPEC (Organisation erdölexportierender Länder) wurde 1960 mit den Gründungsmitgliedern Iran, Irak, Kuwait, Saudi-Arabien und Venezuela gegründet. Später traten zahlreiche weitere Staaten bei, sodass die OPEC im Jahr 1970 bereits 81 Mitglieder hatte. Die arabischen Mitglieder organisierten sich ab 1968 zusätzlich separat in der OAPEC. Ein wesentliches Ziel war die Unabhängigkeit von westlichen, insbesondere amerikanischen Ölkonzernen, die zuvor große Profite mit dem Fördern von Öl in diesen Regionen gemacht hatten. Darum unterstützte die OPEC die zunehmende Verstaatlichung von Ölvorkommen in den Mitgliedsstaaten.
Der Jom-Kippur-Krieg
Auch der Nahostkonflikt war bereits in den 1970er Jahren ein aktuelles Thema. Israel hatte 1967 im sogenannten Sechstagekrieg zahlreiche Gebiete besetzt, darunter das Westjordanland, Gaza, die Golanhöhen und die ägyptische Halbinsel Sinai. Am 6. Oktober 1973 starteten Ägypten und Syrien am Tag des jüdischen Jom Kippur-Fests gemeinsam einen Angriff auf Israel, um diese Gebiete zurückzuerobern. Israel schlug sie mit Hilfe amerikanischer Unterstützung zurück. Bereits Ende Oktober gab es einen Waffenstillstand, der zu großer Unzufriedenheit bei den arabischen Staaten des Nahen Ostens führte.
Die Ölkrise
Die arabischen OPEC-Staaten entschieden sich dafür, das Öl als politisches Druckmittel gegen die USA einzusetzen. Als Reaktion auf das amerikanische Eingreifen verhängten sie ein sogenanntes Ölembargo. Das heißt, es wurde ein Lieferboykott für die USA und ihre Verbündeten verhängt. Das betraf auch die Niederlande und damit Rotterdam als bedeutendsten Ölhafen in Europa. Für neutrale Länder, darunter auch die Bundesrepublik, sollten die Liefermengen schrittweise gedrosselt werden. Dazu kam ein massiver Ölpreisanstieg, bis hin zu einer Vervierfachung des Preises Anfang 1974. Die westlichen Staaten fanden sich in einer dramatischen Ölkrise wieder. Durch die Abhängigkeit vom Rohöl aus dem Nahen Osten hatten sie sich politisch erpressbar gemacht. Der amerikanische Außenminister Kissinger konnte zwar durch eine Vermittlungsmission das Embargo schnell beenden, aber der Ölpreisanstieg blieb bestehen. Heute weiß man, dass das Öl nie wirklich knapp wurde, wohl aber langfristig teurer. Darum sprechen viele Historikerinnen und Historiker heute statt von einer „Ölkrise“ eher von einer „Ölpreiskrise“.
Statistik: Entwicklung der Jahresdurchschnittspreise von Rohöl, mit einem deutlich erkennbaren Anstieg ab dem Jahr 1973${^1}$
Auswirkungen der Ölkrise in Deutschland
Zunächst sorgte die Ankündigung der OPEC-Staaten für Unruhe. Viele Menschen hatten Angst vor dem Verlust ihrer neu gewonnenen Mobilität und vor einem kalten Winter ohne Heizöl. Es kam zu Hamsterkäufen an den Tankstellen. Die Regierung Brandt stand vor der schwierigen Aufgabe, gleichzeitig die Bevölkerung zu beruhigen und ein Bewusstsein für den Ernst der Lage zu schaffen.
Das Energiesicherungsgesetz
Die erste Maßnahme der Regierung war das sogenannte Energiesicherungsgesetz vom November 1973. Das Gesetz ermöglichte Fahrverbote und Mobilitätseinschränkungen zum Zweck des Energiesparens und damit die Ausrufung von vier autofreien Sonntagen Ende 1973 und ein vorübergehendes Tempolimit auf Autobahnen und Landstraßen.
Auch in unserem Nachbarland Niederlande wurde der autofreie Sonntag eingeführt
Diese Maßnahmen wurden von der Bevölkerung relativ gelassen akzeptiert, brachten aber keine großen Einsparungen und hatten in erster Linie symbolischen Charakter. In der Folgezeit versuchte man, durch Energiesparmaßnahmen in öffentlichen Gebäuden und Behörden und Energiesparkampagnen den Energieverbrauch weiter zu reduzieren. Abgesehen von einem Heizkostenzuschuss verzichtete die Regierung aber darauf, den Ölpreis durch staatliche Subventionen künstlich zu senken.
Die Ölkrise wird zur Wirtschaftskrise
Der Ölpreisanstieg hatte weitreichende Folgen für die deutsche Wirtschaft. Zahlreiche Unternehmen mussten Insolvenz anmelden oder die Produktion zurückfahren, was zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit und der Kurzarbeit führte. Vor allem die Automobilindustrie meldete sinkende Verkaufszahlen. Das Wirtschaftswachstum ging zurück, die Inflation stieg und die Steuereinnahmen sanken. Die Konjunkturprogramme der Regierung blieben größtenteils erfolglos und führten zusätzlich zu einer erhöhten Staatsverschuldung. Es kam zur ersten großen Wirtschaftskrise in der Geschichte der Bundesrepublik – das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit war damit offiziell beendet.
Im Zusammenhang mit der Wirtschaftskrise hört man gelegentlich das Stichwort Stagflation. Es steht für eine Kombination aus Inflation und stagnierendem, also verlangsamtem oder rückläufigem Wirtschaftswachstum.
Die Ölkrise in der DDR
Da die DDR als Mitglied des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe an staatlich festgelegte Verrechnungspreise zwischen den Staaten des Warschauer Paktes gebunden war, zeigten sich die Auswirkungen der Ölkrise dort erst verspätet, nämlich zu Beginn der 1980er Jahre. Man begegnete dem Mangel an Erdöl in erster Linie durch eine verstärkte Förderung von Braunkohle und neue Technologien wie Kohleverflüssigung. Vor allem die verstärkte Braunkohlenutzung wurde in der DDR in den Folgejahren zu einem immer schwereren Umweltproblem.
Langfristige Folgen der Ölkrise
Die Ölkrise hinterließ langfristige Folgen im Bewusstsein der Menschen und in der Energiepolitik der westlichen Staaten. Dazu gehören folgende Entwicklungen, die eine Wiederholung der Energiekrise vermeiden sollten.
Energieverbrauchsetikett nach EU-Standard
Das Energieverbrauchsbewusstsein stieg zumindest kurzfristig an, und führte zu Maßnahmen wie der verpflichtenden Wärmedämmung von Gebäuden, der Einführung staatlicher Energieeffizienzstandards und der Einführung der Sommerzeit.
Die Suche nach alternativen Energiequellen führte zur verstärkten Investition in die Kernenergie und zum Bau von 40 neuen Kernkraftwerken in der Bundesrepublik. Die Anti-Atomkraft-Bewegung wurde wiederum zur Basis für die Entstehung der Partei Die Grünen im Jahr 1980.
Das Bemühen um alternative Handelspartner resultierte in verstärkten Importen von russischem Erdgas über Pipelines und damit in neuen politischen Abhängigkeiten.
Man suchte nach alternativen Fördermöglichkeiten für Öl und investierte darum in Bohrinseln und Offshore-Förderung von Öl in der Nordsee.
Die westlichen Staaten begannen mit der Anlage strategischer Ölreserven.
Regelmäßige Weltwirtschaftsgipfel ab 1975 wurden als Hilfe bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit vereinbart.
Man bezeichnet die Ölkrise heute auch als erste große Globalisierungskrise. Sie veranlasste die westlichen Staaten zur Entwicklung einer komplexen Energiestrategie im Spannungsfeld zwischen Sicherheitspolitik und Umweltpolitik, die heute und in Zukunft wieder mehr an Wichtigkeit gewinnt.
Die Ölkrise von 1973 – Zusammenfassung
Im Oktober 1973 reduzierten die ölproduzierenden Staaten des Nahen Ostens als Reaktion auf das amerikanische Eingreifen im Jom-Kippur-Krieg ihre Fördermengen, erhöhten den Ölpreis und lösten damit eine Ölkrise aus.
Die Ölpreiserhöhung führte zu einer Wirtschaftskrise in der Bundesrepublik, die stark vom Rohöl abhängig war.
Die Bundesregierung reagierte mit einer Reihe von symbolträchtigen Energiesparmaßnahmen sowie mit Konjunkturprogrammen zur Stärkung der Wirtschaft, die aber nur geringen Erfolg hatten.
Langfristig führte die Ölkrise zu einem gesteigerten Energiebewusstsein und zu verschiedenen Bemühungen, die Abhängigkeit vom Rohöl zu verringern und so die politische Unabhängigkeit zu wahren.
Als Anlass kann das amerikanische Eingreifen im sogenannten Jom-Kippur-Krieg zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn gelten, das diese veranlasste, die Öllieferungen als politisches Druckmittel zu nutzen.
Als neutraler Staat war die Bundesrepublik nicht direkt vom Ölembargo betroffen, wohl aber von der Ölpreiserhöhung, die zur Wirtschaftskrise der 1970er Jahre maßgeblich beitrug. Außerdem ging von der Ölkrise eine erhebliche psychologische Schockwirkung aus.
Aus heutiger Sicht wurden die Fördermengen nie so stark gesenkt, dass das Öl knapp wurde. Allerdings stieg der Ölpreis stark an. Man spricht darum heute auch oft von einer „Ölpreiskrise“.
Zum Ende des Wirtschaftswunders trugen auch verschiedene strukturelle Gründe, wie Lohnerhöhungen, erhöhte Konkurrenz auf dem Weltmarkt und Mangel an Innovationen bei. Die Ölkrise war aber auf jeden Fall ein verschärfender Faktor.
Als eine Folge der Ölkrise wurden in der Bundesrepublik strengere gesetzliche Regelungen zum Energiesparen vereinbart, was der Umwelt zugute kam. Andererseits wurden neue Kernkraftwerke gebaut und verstärkt in der Nordsee Öl gefördert.
Einerseits entwickelte sich durch die Ölkrise ein verstärktes Bewusstsein für die Notwendigkeit zum Energiesparen und zu einer verantwortlichen Energiepolitik. Andererseits wurde die Abhängigkeit vom Rohöl durch neue Abhängigkeiten, zum Beispiel vom russischen Erdgas, ersetzt.
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