Gedichtanalyse und -interpretation schreiben
Bei der Analyse eines Textes geht es darum, seine Bestandteile und ihre Beziehungen zueinander zu erfassen und herauszuarbeiten. Zu diesen Bestandteilen gehört beispielsweise der formale Aufbau sowie die sprachliche Gestaltung des Textes.
Der Analyse folgt meist die Interpretation. Die Funktion der Interpretation ist es, die Analyseergebnisse in einen Zusammenhang zur Deutungshypothese zu bringen. Bei der Gedichtanalyse bzw. der Gedichtinterpretation wird ein Gedicht analysiert bzw. interpretiert.
Der Aufbau der Gedichtanalyse ist dreiteilig und lässt sich gliedern in:
- Einleitung,
- Hauptteil und
- Schluss.
Sinn und Zweck einer Gedichtanalyse ist es, die Bedeutung eines Gedichts zu begreifen. Dabei werden jegliche Bestandteile (Form, Metrum, Stilmittel, Wortwahl, etc.) betrachtet.
Gedichtanalyse – Aufbau
Die Tabelle gibt dir einen Überblick über die einzelnen Teile einer Gedichtanalyse, die nachfolgend im Detail erklärt werden.
Einleitung |
Hauptteil 1: Analyse |
Hauptteil 2: Deutung |
Schluss |
Informationen zu: - Titel, - Autor, - Textart und - Thema. |
Analyse von: - Inhalt, - Form und - Sprache. |
Interpretation von: - Inhalt, - Form und - Sprache. |
- Zusammenfassung - Bezüge herstellen - eigene Wertung |
Mehr zum Aufbau der Gedichtinterpretation erfährst du auf einer separaten Themenseite.
Gedichtinterpretation – Einleitung

Die Einleitung der Gedichtanalyse gibt so wie in anderen Textformen allgemeine Informationen zum analysierten Text, in diesem Fall zum Gedicht, wieder. Die Einleitung soll die Leserinnen und Leser in das Thema einführen. Sie enthält Angaben zu Titel, Autor, Textart und Thema des Gedichts. Außerdem kann sie Informationen zur Entstehungszeit des Gedichts und zur literarischen Epoche enthalten.
Beispiel – Gedicht „Weltende“ von Jakob van Hoddis
Das Gedicht „Weltende“ von Jakob van Hoddis aus dem Jahre 1911 beschreibt eine durch verschiedene Ereignisse erschütterte und sich bedrohlich wandelnde Welt. Die knappe Darstellung von Katastrophen, Krankheiten und Tod zeigt die für den beginnenden Expressionismus typische Verunsicherung des Individuums in einer undurchschaubaren Welt, von der es sich mehr und mehr entfremdet.
Es kann sinnvoll sein, den Einleitungssatz erst als allerletztes zu schreiben, wenn du das Gedicht vollkommen analysiert und interpretiert hast.
Gedichtinterpretation – Hauptteil
Der Hauptteil ist das Kernstück der Gedichtinterpretation. Er sollte etwa
zwei Drittel des Aufsatzes umfassen. Im Hauptteil werden die formale und sprachliche Gestaltung des Gedichts und die inhaltlichen Aussagen analysiert und miteinander verknüpft. Beispielsweise kannst du die Klangfarbe eines Gedichts näher untersuchen.
Das Ziel der Gedichtanalyse ist es, eine treffende Deutung herauszuarbeiten. Wichtige zu betrachtende Aspekte sind dabei der Titel, die inhaltliche Gliederung und die Situation des lyrischen Ichs. Die drei Bestandteile, die im Hauptteil behandelt werden, sind Inhalt, Form und Sprache des Gedichts.
Inhalt:
- Welche inhaltliche Gliederung wird verfolgt?
- Welche Themen werden im Titel und im Gedicht angesprochen?
(z. B. Liebe, Freundschaft, Tod und Trauer, Familie, Natur, Glaube und Religion)
- In welcher Situation befindet sich das lyrische Ich?
Form:
Um die Form eines Gedichts zu verstehen, musst du folgende Aspekte betrachten:
- Anzahl der Strophen und Verse
-
Reimschema (Kreuzreim, Paarreim, Schweifreim etc.)
-
Metrum (Jambus, Trochäus, Daktylus, Anapäst)
- Kadenzen (männliche oder weibliche Kadenzen)
Beispiel : Mit einem gemalten Bande - J. W. von Goethe
Das Gedicht besteht aus vier Strophen mit jeweils vier Versen. Alle Strophen sind im Kreuzreim gehalten. Das Metrum ist ein vierhebiger Trochäus und mit jeder Strophe wechselt die Kadenz – die erste Strophe des Gedichts ist dabei weiblich, die letzte männlich. Da es sich hierbei um ein Liebesgedicht handelt, können die wechselnden Kadenzen als Anspielung auf die beiden Liebenden verstanden werden.
Sprache:
- Welche rhetorischen Stilmittel werden zu welchem Zweck genutzt?
Zeilenangaben und wörtliche Zitate dienen dabei als Belege, um das eigene Textverständnis zu untermauern und Aussagen über den Text zu belegen.
Achte bei deiner Interpretation auch darauf, ob Form und Sprache zum Inhalt des Gedichts passen. Wenn beispielsweise vom Meer die Rede ist, können viele Hebungen verwendet werden oder ein uneinheitliches Reimschema, um die Wellen und die Bewegung des Wassers zu unterstreichen.
Gedichtinterpretation – Schluss

Der Schlussteil soll die Analyseergebnisse und die Interpretation in wenigen Sätzen zusammenfassen. Der Schluss kann auch eine eigene Wertung enthalten. Diese Wertung sollte sachlich formuliert werden. Es ist auch möglich, Bezüge zu anderen Gedichten herzustellen, vor allem, wenn diese ähnliche Themen aufgreifen oder derselbe literaturgeschichtliche Zusammenhang vorliegt.
Mögliche Formulierungshilfen für den Schluss der Gedichtinterpretation sind:
- Zusammenfassend lässt sich sagen, …
- Durch die genaue Untersuchung des Textes und die Betrachtung literaturgeschichtlicher Zusammenhänge bin ich zu dem Schluss gekommen, dass …
- Nach dem ersten Lesen dachte ich, dass ..., bin aber durch die Analyse zu dem Schluss gekommen, dass …
- Ich finde, der Text entspricht/entspricht nicht …
- Mir persönlich gefällt der Text/gefällt der Text nicht, weil …
Gedichtanalyse – Stilmittel
Bei der Interpretation von Gedichten ist es wichtig, Stilmittel zu erkennen und zu verstehen, weshalb sie verwendet werden.
Stilmittel |
Erklärung |
Beispiel |
Wirkung |
Anapher |
derselbe Versanfang in zwei oder mehreren Versen |
„Rausche, Fluß, das Tal entlang, Ohne Rast und Ruh, Rausche, flüstre meinen Sang Melodien zu!“ An den Mond, Goethe |
Hervorhebung, Intensivierung der wiederholten Textstellen |
Euphemismus |
beschönigende Darstellung |
„Ich ging, du standst und sahst zur Erden Und sahst mir nach mit nassem Blick.“ Willkommen und Abschied, Goethe |
Aufwertung, Milderung, Beschönigung |
Klimax |
Steigerung von Wörtern, Sätzen oder Satzteilen |
„ich kam, sah und siegte“ |
Erhöhung der Spannung, Dramatisierung |
Metapher |
Verbildlichung |
eine Mauer des Schweigens |
erleichtert das Verständnis |
Oxymoron |
Verbindung zweier gegensätzlicher Begriffe |
ein riesiger Zwerg |
Aufmerksamkeit durch Widersprüchlichkeit |
Personifikation |
Vermenschlichung von Tieren, Objekten oder abstrakten Begriffen |
„Veilchen träumen schon.“ Er ist’s, Mörike |
lebendigere Darstellung, bessere Vorstellbarkeit |
Gedichtanalyse – Beispiel
Im Folgenden geben wir dir ein Beispiel für eine Gedichtanalyse zu Rainer Maria Rilkes Gedicht „Der Panther“.
Der Panther
Im Jardin des Plantes, Paris
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.
Beispiel Gedichtanalyse zu „Der Panther“ – Einleitung
Das Gedicht „Der Panther“ von Rainer Maria Rilke aus dem Jahr 1902 beschreibt das Leben eines gefangenen Panthers im Jardin des Plantes, einem berühmten Zoo in Paris. Das Gedicht thematisiert die Auswirkungen der Gefangenschaft auf das Tier und vermittelt tiefere Einsichten in die Begrenzung und den Verlust von Freiheit.
Das Gedicht besteht aus drei Strophen mit jeweils vier Versen. Das Reimschema aller vier Strophen ist ein Kreuzreim. Das Metrum ist ein fünfhebiger Jambus, mit Ausnahme des letzten Vers, der nur vier Hebungen hat. Die rhythmische Struktur und das konstante Reimschema bilden den immer gleichen Alltag des Panthers ab.
Gedichtinterpretation – Inhalt und Sprache
1. Strophe:
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Die erste Strophe beschreibt die Monotonie und Eintönigkeit der Gefangenschaft. Der Blick des Panthers ist müde und gebrochen vom ständigen Vorübergehen der Stäbe seines Käfigs. Die Hyperbel (Übertreibung) tausend Stäbe verdeutlicht die überwältigende und allumfassende Natur der Gefangenschaft. Der Panther sieht keine Welt hinter den Stäben, was seine Isolation und Entfremdung von der Außenwelt betont.
2. Strophe:
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Die zweite Strophe beschreibt die körperliche Bewegung des Panthers. Sein Gang ist weich und geschmeidig, doch seine Bewegungen sind auf den engen Raum des Käfigs beschränkt, was durch die Metapher des allerkleinsten Kreises dargestellt wird. Diese Bewegung wird mit einem Tanz verglichen, der die unterdrückte Kraft und den großen, betäubten Willen des Tieres symbolisiert. Der Panther besitzt noch immer Stärke und Anmut, doch sie sind bedeutungslos und werden durch die Gefangenschaft erstickt.
3. Strophe:
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.
Die letzte Strophe schildert einen seltenen Moment der Wachsamkeit, wenn der Panther etwas außerhalb seines Käfigs wahrnimmt. Der Vorhang der Pupille öffnet sich lautlos, und ein Bild dringt in sein Bewusstsein. Doch selbst dieser flüchtige Moment von Wahrnehmung endet abrupt und verschwindet im Herzen, ohne bleibende Wirkung zu hinterlassen. Dies unterstreicht die tiefe Resignation und das endgültige Aufgeben des Panthers.
Beispiel Gedichtanalyse zu „Der Panther“ – Interpretation
Das Gedicht ist eine kraftvolle Metapher für Gefangenschaft und die Zerstörung des Lebenswillens durch fehlende Freiheit. Der Panther symbolisiert nicht nur das Tier, sondern auch den Menschen, der in einer eingeschränkten Umgebung lebt und seine Träume und Wünsche verliert. Rilke zeigt die psychologische und emotionale Wirkung der Gefangenschaft und die Unmöglichkeit, in einem solchen Zustand Erfüllung zu finden.
Beispiel Gedichtanalyse zu „Der Panther“ – Schluss
Rainer Maria Rilkes "Der Panther" bleibt ein zeitloses Gedicht, das tief in die menschliche Psyche eindringt und die verheerenden Auswirkungen der Gefangenschaft aufzeigt. Die meisterhafte Verwendung von Metaphern, Rhythmus und Struktur macht es zu einem eindrucksvollen Werk der deutschen Literatur.
Gedichtanalyse – Zusammenfassung
- Jede Gedichtanalyse beginnt mit einer Einleitung, in der du Titel, Autor, Textart und Thema des Gedichts nennst. Es kann sinnvoll sein, den Einleitungssatz erst als allerletztes zu schreiben, wenn du das Gedicht vollkommen analysiert und interpretiert hast.
- Danach folgt der Hauptteil. Hier gehst du auf den formalen Aufbau, den Inhalt und die sprachliche Gestaltung des Gedichts ein.
- Im Anschluss daran folgt die Interpretation der Bestandteile und des Gedichts in seiner Gesamtheit.
- Die Gedichtanalyse wird mit dem Schlussteil beendet, indem du die Analyseergebnisse und die Interpretation zusammenfasst. Der Schluss kann auch eine eigene, sachlich formulierte Wertung enthalten.
Häufig gestellte Fragen zum Thema Eine Gedichtinterpretation schreiben – Schluss
Was kommt in den Schluss einer Gedichtinterpretation?
Im Schlussteil werden kurz die Ergebnisse (z. B. formale Merkmale) und die Wirkung des Gedichts zusammengefasst. Zudem ist es möglich, Bezüge zu anderen Gedichten herzustellen. Außerdem kann der Schluss auch eine eigene Wertung enthalten, diese sollte sachlich formuliert sein.
Wie beendet man eine Gedichtanalyse?
Die Gedichtanalyse wird mit einer kurzen Zusammenfassung der Analyseergebnisse beendet. Auch kann der Schluss eine persönliche Wertung enthalten, welche sachlich formuliert wird.
Hat eine Gedichtanalyse einen Schluss?
Ja, die Gedichtanalyse hat immer einen Schluss. Der Schlussteil einer Gedichtanalyse endet mit der Zusammenfassung der Analyseergebnisse sowie der Beschreibung der Wirkung des Gedichts. Möglich ist es auch, die eigene Meinung einfließen zu lassen.