Kurzgeschichte – einfach erklärt
Eine Kurzgeschichte ist eine weitverbreitete Form in der Literatur. Doch was genau ist eine Kurzgeschichte?
Merke:
Laut Definition handelt es sich bei einer Kurzgeschichte um eine knappe Erzählung, die eine Momentaufnahme beschreibt. Oft ist diese Momentaufnahme eine wichtige Episode aus dem Alltagsleben eines oder mehrerer Menschen.
Kurzgeschichte – Ursprung
Die Kurzgeschichte entwickelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer eigenständigen Textsorte im Rahmen der sogenannten Trümmerliteratur. Autorinnen und Autoren schätzten an ihr, dass sie sich schneller als ein Roman schreiben ließ. Außerdem benötigte sie im Vergleich zu langen Publikationen wenig Papier. Als Vorbild der Kurzgeschichte diente die amerikanische Short Story.
Wusstest du schon?
Viele bekannte Autorinnen und Autoren haben ihre Karriere mit Kurzgeschichten begonnen. Zum Beispiel hat Ernest Hemingway (1899–1961), einer der einflussreichsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, mit seinen Kurzgeschichten weltweite Berühmtheit erlangt. Seine Geschichten sind oft kurz, prägnant und trotzdem unglaublich spannend!
Kurzgeschichte – typische Merkmale
Eine Kurzgeschichte zeichnet sich nicht nur dadurch aus, dass sie knapp erzählt ist und eine Momentaufnahme beschreibt. Auch an vielen anderen Merkmalen lässt sich eine Kurzgeschichte gut erkennen.

Kontrovers diskutiert:
Expertinnen und Experten sind sich uneinig, ob das offene Ende ein unerlässliches Merkmal einer Kurzgeschichte ist. Einige glauben, dass diese Unklarheit den Leserinnen und Lesern mehr Raum für eigene Interpretationen lässt. Andere argumentieren, dass ein eindeutiger Schluss notwendig ist, um die Intention der Geschichte klar zu vermitteln. Was denkst du?
Kurzgeschichte – bekannte Verfasserinnen und Verfasser
Autorin/Autor |
Lebensdaten |
Bekannte Kurzgeschichte |
Ilse Aichinger |
1921–2016 |
Das Fenster-Theater (1949) |
Heinrich Böll |
1917–1985 |
An der Brücke (1949) |
Elisabeth Langgässer |
1899–1950 |
Saisonbeginn (1947) |
Wolfgang Borchert |
1921–1947 |
Das Brot (1946) |
Kurzgeschichte – Beispiel: Das Brot (W. Borchert)
Anhand der wichtigsten Merkmale einer Kurzgeschichte wird im Folgenden die Kurzgeschichte Das Brot von Wolfgang Borchert untersucht.
Geringer Umfang und kurze Erzählzeit:
Die Kurzgeschichte Das Brot von Wolfgang Borchert beschränkt sich auf einen kurzen Ausschnitt aus dem Leben eines Ehepaars während der Hungerjahre nach dem Krieg. Die Handlung ist auf das Notwendigste verkürzt.
Fehleralarm
Es ist ein verbreiteter Fehler, anzunehmen, dass Kurzgeschichten immer eine Moral oder Lehre enthalten. Tatsächlich konzentrieren sie sich häufig auf eine Momentaufnahme oder eine bestimmte Situation.
Alltägliche Momentaufnahme als zentrales Thema:
Borchert zeigt eine kurze Momentaufnahme in der Beziehung eines Ehepaars. Weil der Mann Hunger leidet, schneidet er nachts eine Scheibe des streng rationierten Brots ab und wird dabei von seiner Ehefrau ertappt. Wie auch in anderen Kurzgeschichten ist das Alltagsgeschehen für die Figuren von besonderer Bedeutung: Das Brot und die Verteilung des Brots ist in der Nachkriegszeit lebenswichtig.
Nur ein Handlungsstrang:
Auch diese Kurzgeschichte beschränkt sich – anders als ein Roman – auf nur einen Handlungsstrang.
Keine ausführlichen Informationen zum Ort der Handlung oder zu den Figuren:
In Borcherts Kurzgeschichte erfahren die Lesenden nur, dass sich die Handlung in einer Wohnung abspielt. Dabei werden Schlafzimmer und Küche als Schauplätze genannt. Über die dargestellten Figuren wird bekannt, dass es sich um einen Mann und eine Frau handelt, die seit 39 Jahren verheiratet sind.
Wenige handelnde Personen:
Nur der Ehemann und die Ehefrau treten als handelnde Personen auf.
Kennst du das?
Vielleicht hast du schon einmal eine Kurzgeschichte gelesen, in der wenig über die Figuren verraten wurde, aber du sie trotzdem gut verstanden hast? Das liegt daran, dass Kurzgeschichten oft auf wenige, wesentliche Details beschränkt sind. Diese Art der Darstellung, die ohne viele Beschreibungen auskommt, erlaubt es dir, die Geschichte schnell zu erfassen und dich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Unmittelbarer Einstieg:
Die Kurzgeschichte beginnt zum Beispiel so: Plötzlich wachte sie auf. Es war halb drei. Sie überlegte, warum sie aufgewacht war. Ach so! In der Küche hatte jemand einen Stuhl gestoßen. Die Lesenden werden also schlagartig in eine Situation versetzt.
Mehrdeutigkeit:
Als die Frau in der Küche ihren Mann ertappt, reagiert sie so:
„Ich habe auch was gehört. Aber es war wohl nichts.“ Sie stellte den Teller vom Tisch und schnippte die Krümel von der Decke. Obwohl die Frau genau weiß, was ihr Mann getan hat, will sie ihn vor einer Blamage beschützen. Das wird durch das physische Wegstellen des Tellers symbolisiert, durch das sie den Beweis vernichten will.
Innerer Monolog:
Auch diese Geschichte nutzt den inneren Monolog als Stilmittel. Sie hob die Hand zum Lichtschalter. Ich muss das Licht jetzt ausmachen, sonst muss ich nach dem Teller sehen, dachte sie. Ich darf doch nicht nach dem Teller sehen.
Fehleralarm
Oft wird angenommen, dass Kurzgeschichten viele metaphorische oder symbolische Elemente enthalten müssen. Dies ist nicht der Fall – sie sind oft direkt und schnörkellos.
Alltagssprache:
Wie auch in anderen Kurzgeschichten ist die Sprache nüchtern und schlicht. Eine einfache Wortwahl und kurze Sätze machen sie leicht verständlich.
Als sie im Bett lagen, sagte sie: „Ja, Wind war schon die ganze Nacht. Es war wohl die Dachrinne.“ – „Ja, ich dachte, es wäre in der Küche. Es war wohl die Dachrinne.“ Er sagte das, als ob er schon halb im Schlaf wäre. Aber sie merkte, wie unecht seine Stimme klang, wenn er log.
Zielstrebiger Handlungsverlauf zu einem Höhe- oder Wendepunkt:
In Borcherts Geschichte legt die Frau am nächsten Abend ihrem Mann eine zusätzliche Scheibe ihres Brots auf den Teller und behauptet, es nicht gut zu vertragen. Dieser Wendepunkt liefert neue, für die Deutung der gesamten Handlung wichtige Informationen. So erfahren die Lesenden, dass die Frau aus Liebe zu ihrem Mann bereit ist, auf ihr Brot zu verzichten.
Offener Schluss:
Die Geschichte endet damit, dass sich die Frau zu ihrem Mann an den Tisch setzt. Was danach passiert, bleibt offen. Die Lesenden sind aufgefordert, sich das Ende der Geschichte selbst auszudenken. Nimmt der Mann das Brot an?
Schlaue Idee
Denke an eine spannende Situation aus deinem Alltag, wie zum Beispiel ein unerwartetes Ereignis auf dem Schulweg. Diese Erlebnisse können als Inspiration für die Handlung einer Kurzgeschichte dienen.
Ausblick – das lernst du nach Merkmale einer Kurzgeschichte
Als nächstes beschäftigen wir uns mit Erzählzeit und erzählter Zeit und verschiedenen Stilmitteln in der Literatur. Dann wenden wir auch das Gelernte an: Bei der Analyse von Kurzgeschichten kannst du dein neu erworbenes Wissen einsetzen.
Merkmale einer Kurzgeschichte – Zusammenfassung
- Eine Kurzgeschichte ist eine kurze Erzählung, die ein wichtiges Ereignis im Leben einer oder mehrerer Personen beschreibt.
- Ihren Ursprung hat die Kurzgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg im Rahmen der sogenannten Trümmerliteratur.
- Typische Merkmale der Kurzgeschichte sind neben ihres geringen Umfangs und der kurzen Erzählzeit: die alltägliche Momentaufnahme, der unmittelbare Einstieg und das oftmals offene Ende.
- Die Merkmale der Kurzgeschichte werden am Beispiel Das Brot leicht nachvollziehbar dargestellt und erläutert.
Häufig gestellte Fragen zum Thema Merkmale einer Kurzgeschichte
Wie lang ist eine Kurzgeschichte?
Es gibt keine allgemeingültige Regel, die die minimale und maximale Länge von Kurzgeschichten genau festlegt. Sie können zwischen zirka 1 000 und 8 000 Wörter umfassen. Wichtiger ist vielleicht das Kriterium, dass du eine Kurzgeschichte bequem ohne Unterbrechung lesen kannst.
Wie ist eine Kurzgeschichte aufgebaut?
Auch für den Aufbau einer Kurzgeschichte gibt es keine festen Regeln. Zwei wichtige Kriterien sind jedoch die Beschränkung auf einen Handlungsstrang und die lineare, chronologische Handlung.