“Die schlesischen Weber” - ein berühmtes Gemälde von Carl Wilhelm Hübner aus dem Jahr 1846. Dargestellt sind die armen Weber, die auf Prüfung und Bezahlung ihrer Leinenstoffe warten. Genau dieselbe Situation beschreibt Gerhart Hauptmann im 1. Akt seines Theaterstücks “Die Weber”. Bezieht er sich dabei auf dieses Gemälde? Welche Quellen hat Hauptmann generell verwendet und wie naturalistisch ist sein Drama?
Der Weberaufstand in Schlesien
Dem Theaterstück sowie dem Gemälde liegt eine wahre Begebenheit zugrunde: Der Weberaufstand im Jahr 1844 in Schlesien. Zu der Zeit schränken politischen Veränderungen in Europa, Russland und Südamerika die Ausfuhr von Leinenstoffen stark ein. Staatliche Förderungen bleiben aus und der Produktionsprozess wird immer stärker mechanisiert.
“Das Blutgericht”
Die Fabrikanten reagieren mit Lohnkürzungen. So verarmen, verzweifeln und verhungern die schlesischen Weber, die einst hochwertige und beliebte Leinen herstellten. Ein Lied breitet sich damals aus, das die Stimmung in 24 Strophen widerspiegelt: “Das Blutgericht”, nennt es der Volksmund.
Der Aufstand beginnt am 04. Juni 1844 in Peterswaldau. Anlass dafür ist die Herabsetzung des Weberlohns durch den Fabrikanten Zwanziger. Die erregte Menge zerstört die Wohnung und die Lager der Fabrikanten. Die Aufständischen ziehen nach Langenbielau. Dort versucht der Kaufmann Dierig, ihnen einen Vorschuss zu organisieren - vergeblich. Wieder folgen Verwüstungen und Zerstörungen.
Schließlich schickt die Regierung Soldaten nach Langenbielau, wo Aufständische wüten. Dabei werden die Weber teils getötet und teils verletzt. Doch die Weber halten Stand - und erreichen einen Rückzug des Militärs. Hier endet Gerhart Hauptmanns Stück. In der Realität dauerte der Aufstand noch länger an.
Die Industriegesellschaft
Auch in anderen Ländern wurde die soziale Frage das Grundproblem der im 19. Jahrhundert entstandenen Industriegesellschaft und ihren Klassengegensätzen. So entstand eine Flut an politischer Literatur, unter anderem „Das Elend und der Aufruhr in Schlesien“ (1845) von Friedrich Wilhelm Wolff (1809-1864). Diese Werke waren auch Hauptmann bekannt.
Historische Bezüge in Webers Drama
Hast du gemerkt, wie viele weitere historische Fakten des Weberaufstands Hauptmann in seinem Drama übernommen hat? Es gibt den Fabrikanten Dreißiger - statt Zwanziger - der die Löhne kürzt. Hauptmann verwendet sieben Strophen aus dem real existierenden Lied “Das Blutgericht”.
Der Naturalismus
Mit “Die Weber” wurde Hauptmann ein wichtiger Vertreter des Naturalismus. Hier geht es darum, die Menschen und ihre Umgebung glaubwürdig, also ungeschönt, darzustellten. Die Figuren stammen aus der unteren Gesellschaftsschicht. Statt gehobener Sprache wird Umgangssprache verwendet - Hauptmanns erste Weber-Fassung “De Waber” wurde in schlesischem Dialekt verfasst.
Hauptmanns wichtigste Quelle waren die Menschen. Er hörte genau zu, wenn an die Weberschicksale in seiner Heimat immer wieder erinnert wurde. Auch sein Großvater hatte noch die Not der Weber am eigenen Leib erfahren. Hauptmanns Vater berichtete seinem Sohn davon - daher die Widmung an seinen Vater und dessen “Erzählung vom Großvater”. Hauptmann hat also auch eine persönliche Beziehung zu dem Stoff.
Hauptmann sammelte auch aktuelle Dokumente zum Elend der Weber aus der Presse und fügte sie in seinen Kalender ein - eine von den Naturalisten häufig gepflegte Methode. Zwischen dem Frühjahr 1891 und 1892 schrieb Gerhard Hauptmann sein Werk nieder. Währenddessen bereiste er alle Örtlichkeiten des Stückes nochmal. Den eigentlichen Anschub aber gab ein halbjähriger Zürich-Aufenthalt 1888, wo die Seidenweberei noch blühte. Dort hörte Hauptmann das Geräusch der Webstühle und beschloss: “Du bist berufen, „Die Weber“ zu schreiben.“
Hauptmanns persönlicher Bezug zum Stück
Das Schauspiel “Die Weber” sowie das Gemälde “Die schlesischen Weber” entfalten sich auf der Grundlage dokumentarischer Zeugnisse vor einem historisch getreuen Zeithintergrund. Gleichzeitig hat Hauptmann ein persönlichen Bezug zum Thema. Dennoch sagte er in einem Interview:
“So tief ich auch von den Leiden der Weber erregt war, als ich den Plan zu meinem Stück fasste: Wie ich einmal an die Arbeit gegangen war, sah ich nur noch den wunderbaren Stoff, den sie mir zur Schaffung eines großen erschütternden menschlichen Dramas darboten. In der Freude am Aufbau meiner Szenen vergaß ich alles Übrige.”