Georg Büchners Lustspiel “Leonce und Lena” ist die Geschichte von einem gelangweilten Königssohn, der vor seiner arrangierten Hochzeit flüchtet und schließlich unwissend seiner Braut in die Arme läuft, sich verliebt und sie heiratet. Eine harmlose Verwechslungskomödie oder doch ernsthafte Politsatire?
Die Rezeptionsgeschichte
“Vielleicht ist es so. Vielleicht ist es aber auch nicht so.” Auf dieses Zitat aus “Leonce und Lena” lässt sich die Rezeptionsgeschichte verknappen. Bis heute kursieren verschiedene Interpretationsansätze für das Stück. Noch immer ist man sich uneinig darüber, wie Büchners Lustspiel eingeordnet und verstanden werden soll.
Die Sozialkritik im Werk
Einige verstehen “Leonce und Lena” tatsächlich als leichtes Lustspiel mit romantischen Zügen. Andere halten die vordergründige Komik für eine Maskerade. Sie verstehen das Stück als abgründiges Lustspiel, hinter dem sich eine scharfe Sozialkritik verbirgt.
Literarische und philosophische Bezüge
Keine dieser Interpretationen ist falsch. Vielleicht wird auch keine dem Stück vollständig gerecht. Doch zeigen sie, wie viel Potential Büchners Lustspiel birgt. Eines steht ganz sicher fest: Georg Büchner arbeitet in seinem Stück viele literarische Bezüge und Anspielungen ein. Er schafft damit eine Collage aus literarischen Motiven und philosophischen Versatzstücken.
Dies wird bereits in der Vorrede deutlich: „E la fama?“ fragt Alfieri. Auf deutsch: „Und der Ruhm?“ Und Gozzi antwortet seinerseits mit einer Frage: „E la fame?“ Zu deutsch: „Und der Hunger?“ Vittorio Alfieri ist ein italienischer Tragödiendichter. Carlo Gozzi hingegen ist ein Dichter der italienischen Commedia dell`arte. Das ist eine Volkskomödie, die mit festgesetzten Rollen und Figuren spielte.
Commedia dell`arte
Auch benutze man in der Commedia dell`arte Masken. Der textliche Bezug setzt sich also auch inhaltlich fort, wenn die Protagonisten in “Leonce und Lena” sich maskieren. Als Motto ist dem ersten Akt ein Zitat aus der Kömödie „Wie es euch gefällt“ von Shakespeare vorangestellt.
Bezug zu Goethes "Die Leiden des jungen Werther"
Der zweite Akt beginnt mit einem Motto, das dem romantischen Dichter Adalbert von Chamisso entliehen ist. Und nachdem Leonce sich in den Fluss stürzen wollte, nimmt er auf Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“ Bezug. Er sagt: „Der Kerl hat mir mit seiner gelben Weste und seinen himmelblauen Hosen alles verdorben.“ Damit meint er die Kleidung, die Werther bei seinem Selbstmord in Goethes Briefroman trägt.
Kart, Schelling und Hegel bieten Inspiration
Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen und mit Namen wie Ludwig Tieck oder Clemens Brentano anreichern. Auch philosophisch ließ sich Büchner von Kant, Schelling und Hegel inspirieren. Allerdings findet man die Anzeichen dafür nur vereinzelt und auch inhaltlich verdreht wieder. Auf den Philosophen Descartes spielt König Peter an, wenn er sagt: „Der Mensch muss denken.“ Bei Descartes heißt der Satz allerdings: „Ich denke, also bin ich.“
Büchners Parodie
Damit kommen wir zum zweiten wichtigen Begriff: der Parodie. Mit König Peter lässt Büchner keinen ernsthaften Intellektuellen auftreten. Vielmehr bringt der trottelige König alles durcheinander und zieht die philosophischen Ansätze so ins Lächerliche. Büchner parodiert Denkweisen, die in seiner Zeit in Mode waren.
So wird auch die Romantik dermaßen überspitzt dargestellt, dass sie ins Komische kippt. Doch damit nicht genug. Die Zustände am Hof und im ganzen Königreich Popo sind drastisch: Der vergessliche König redet nicht nur wirr daher, er vergisst auch sein eigenes Volk. Der Hofstaat plappert die Worte des Königs lediglich nach.
Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen
Mit der Überzeichnung dieser Zustände ins Komische geht Büchner über eine Parodie hinaus. Es ist eine Satire auf die spätabsolutistischen Zustände Deutschlands. Eine Satire, die die gesellschaftlichen Verhältnisse kritisiert. Am deutlichsten wird dies in der Bauernszene. Die Bauern werden vom Schulmeister wie Statisten behandelt.
Sie dienen lediglich der Inszenierung der Hochzeit, sie müssen sozusagen den Soundtrack liefern, indem sie „Vivat“ rufen. Selbst im Sonntagsgewand ist ihre Kleidung noch löchrig. Als einzige Belohnung für die Mühe dürfen sie einmal im Leben den Geruch von Braten riechen. Und zynisch kommentiert der Schulmeister: Die Intelligenz sei am Steigen, immerhin sei „Vivat“ Latein.
Büchner prangert soziale Missstände an
Die scheinbar seichte Verkleidungskomödie enthält also beim genaueren Hinsehen viel Kritik an den bestehenden Gesellschaftsverhältnissen. Die sozialen Missstände der damaligen Zeit werden in “Leonce und Lena” auf eine komische Art und Weise angeprangert.
Leonce und Lena bis heute aktuell
Die Geschichte vom gelangweilten Königssohn, der vor seiner Bestimmung flieht und am Ende dennoch an der Stelle landet, die er anfangs vermeiden wollte – sie wurde nach der Uraufführung 1895 wieder und wieder gespielt und gehört längst zum Standardrepertoire Deutscher Bühnen.
Ausgezeichnet!